Von Martinborough ist es nicht mehr weit bis Wellington, der Hauptstadt Neuseelands an der Südküste der Nordinsel. Diese zeichnet sich vor allem durch einen fast immer wehenden, starken Wind und häufigen Regen aus, soll aber laut Einheimischen bei schönem Wetter eine der lebenswertesten Städte sein. Mit nur ca. 200.000 Einwohnern ist sie bei weitem nicht die größte Stadt Neuseelands, hat aber neben der zu erwartenden Konzentration von staatlichen Institutionen auch eine große Kunst- und Kulturszene.
Den ersten, grauen Tag nutzten wir für eine empfohlene Tour durch die Weta Cave, den Sitz des Unternehmens, welches durch die Kostüme, die Sets und die CGI für den Herr der Ringe berühmt geworden ist. Peter Jackson, der Regisseur der Filme, ist seit 1993 Mitbesitzer und treuer Kunde. Die Firma hat trotz solch riesiger Projekte, je nach Auftragslage, lediglich zwischen 30 und 300 Mitarbeitern und liegt ganz unauffällig in einer kleinen Straße in einem Vorort Wellingtons.

Die Tour geht durch Ausstellungsräume mit Requisiten, Kostümen, Prototypen und vorbei an der eigentlichen Werkstatt, in der normal gearbeitet wird. Weta beschäftigt zum Beispiel den einzigen festangestellten Schwertschmied Neuseelands. Die Firma ist an deutlich mehr Filmen beteiligt, in denen ich die Sets und Effekte beeindruckend fand, als mir klar war: Braindead, Last Samurai, Hellboy, District 9, Avatar, Ghost in the Shell, Blade Runner 2049 um nur eine Auswahl zu nennen.
Schweren Herzens verließ ich ohne eine lebensgroße Stahlreplik des Schwerts von Aragorn für nur ca. 3000 € mit Helena die Weta Cave, um am nächsten Tag in Startposition für mehrere Herr der Ringe Drehorte zu sein. An den meisten ist ohne Hilfe nicht mehr zu erkennen, welche Szene dort gedreht wurde, aber mithilfe eines bebilderten Guides kriegt man großen Respekt vor dem Auge der location scouts. Zum Beispiel ist der Dialog zwischen Gandalf und Saruman im Garten von Isengart im ersten Film im Stadtpark eines Nestes etwas außerhalb von Wellington gedreht worden; nur ein Stück außerhalb des Kameraauschnitts sind ein Spielplatz und rundherum Wohnhäuser.

Von Bruchtal arbeiteten wir uns in wenigen Stunden über einen Fluss in Rohan, Isengart und den Anduin vor zum Schwarzen Tor von Mordor, dass in unserer Welt an der Küste bei Wellington liegt. So witzig das – ein vielleicht etwas bedenkliches Maß an Begeisterung für Mittelerde vorausgesetzt – war, so wenig interessant sind die Orte, wenn man sie ohne Kontext auf einem Foto sieht, weswegen ich euch das erspare.

Den Abend verbrachten wir im Zentrum von Wellington, wo wir von Café zu Bar, zu Restaurant, zu Bar, zu Bar usw. zogen. Das hochgelobte kulinarische Angebot der Stadt konnte den Erwartungen voll standhalten. Als wir gegen Mitternacht zurück Richtung Van unterwegs waren, ging das Nachtleben allerdings erst richtig los. Man merkt, dass man älter wird, wenn man bei 4 °C etwas schockiert die Massen an Teenie-Mädchen in Minirock und bauchfreiem Top auf den Straßen sieht … Der Parkplatz, auf dem unser Van stand, hatte keine öffentlichen Toiletten, daher gönnten wir uns noch einen Schlumi in der Bar (mit Toilette) nebenan.
Am nächsten Tag wachten wir bei strahlendem Sonnenschein unter einem wolkenfreien Himmel und völliger Windstille auf. Frühstück gönnten wir uns auf einem food market direkt am Wasser, um dann frisch gestärkt den letzten Herr der Ringe Drehort auf der Nordinsel zu besuchen. Der ist auf dem nur wenige Kilometer vom Zentrum gelegenen Hausberg von Wellington, Mount Victoria, einem beliebten Ort für Spaziergänger, Jogger und Mountainbiker. Die Szene, in der sich die Hobbits unter einer (leider künstlichen) Wurzel neben dem Weg vor einem Nazgul auf einem Pferd verstecken, ist direkt auf einem der Spazierwege gedreht worden.

Den Nachmittag genossen wir in der Sonne in der Stadt und besuchten schließlich noch das großartige Museum of New Zealand Te Papa Tongarewa, kurz Te Papa genannt.
Das beinhaltet neben Dauerausstellungen zur (Natur-)Geschichte, Maori-Kultur und Geologie auch wechselnde Ausstellungen zu unterschiedlichen Themen. Wir verbrachten mehrere Stunden in der sehr beeindruckenden Ausstellung zu Gallipolli, einem Kriegsschauplatz des ersten Weltkriegs.
Die Halbinsel im Osmanischen Reich, auf der Großbritannien zusammen mit Truppen aus Australien und Neuseeland eine Invasion versuchte, war der erste große Kampfeinsatz für das ANZAC (Australian and New Zealand Army Corps). Dieser Nebenschauplatz des Kriegs ist wegen der massiven Verluste unter den alliierten Soldaten (mehr als 50.000 Tote), wie auch der erste Weltkrieg insgesamt, hier deutlich präsenter als in Deutschland. Einen jährlichen Feiertag zum Gedenken an die Gefallenen gibt es sowohl in Neuseeland als auch in Australien (und Tonga) am 25. April, dem Tag der Landung des ANZAC auf Gallipolli.

Weniger düster, aber genauso interessant war die Ausstellung über Flora, Fauna und Geologie Neuseelands. Neben teilweise interaktiven Informationen zu (teilweise ausgestorbenen) Vögeln, Plattentektonik und Vulkanen gibt es auch ein, auch bei Kindern beliebtes, Haus, in das man gehen kann und in dem ein Erdbeben simuliert wird.
Die letzte Nacht verbrachten wir auf einer von zwei nahezu vollen freedom campsites in Wellington, auf der wir uns fragten, ob man die Stadt in der Hochsaison mit Campervan überhaupt besuchen kann. Vor der Fährfahrt auf die Südinsel machten wir noch eine interessante Führung durch das Parlamentsgebäude, das im Inneren sehr an das britische House of Commons erinnert. Im direkt angrenzenden Sitz der Regierung, der aus offensichtlichen Gründen als beehive bekannt ist, finden eigentlich keine Führungen statt, aber wir durften ausnahmsweise den Raum der Pressekonferenz der Premierministerin besichtigen.
Hallöchen, liest jemand meine Kommentare??
Natürlich