Nach einer Fahrt im Nachtbus ist die Stimmung meist nicht in der unmittelbaren Nähe des Maximums. An dem ersten Morgen in Santiago wurde sie aber schnell noch schlechter, weil die am Bushof wartenden Taxen sich weigerten, uns mit eingeschaltetem Taxameter mitzunehmen. Das System der lokalen Busse zu durchschauen, ist uns in noch keiner südamerikanischen Stadt auf Anhieb gelungen und mit dem großen Rucksack auf dem Rücken und dem kleinen vorne ist die Motivation, insbesondere, wenn schon knapp 30 °C herrschen, auch recht begrenzt. Die Metro war zwar so voll, dass wir mehrere Züge abwarten mussten, aber schließlich konnten wir uns hineinquetschen und kamen für einen Bruchteil des Taxipreises in die Nähe unseres Hostels.
Santiago liegt ziemlich zentral in Chile, sowohl in der Nord-Süd-Ausdehnung als auch von West nach Ost, wobei das letztere nur ca. 150 km im Vergleich zu über 5000 von Norden nach Süden sind. Die Stadt hat über fünf Millionen Einwohner und ist dementsprechend riesig, wobei sich die touristisch interessanten Dinge primär in der Nähe des Zentrums befinden.
Nach dem Frühstück wanderten wir, natürlich nicht ohne Kaffeepausen, von unserem Stadtviertel ins Zentrum, wo wir hauptsächlich von Schatten zu Schatten hüpften. Im Centro Cultural Palacio de La Moneda, ein Kulturzentrum an dem witzigerweise ebenso benannten Sitz des Präsidenten in Chile, gab es einige Ausstellungen und wirklich gutes Eis. Der Besuch eines der ehemaligen Folterzentren aus der Zeit der Militärdiktatur unter Pinochet war, trotz, dass das Gebäude leer stand, sehr bedrückend. Einen guten, wenn auch manchmal etwas sprunghaften Einblick in diesen Teil der Geschichte Chiles gab auch das kostenlose Museo de la Memoria y los Derechos Humanos (Museum der Erinnerung und der Menschenrechte).
Der nächste Tag verlief ähnlich, nur dass der Schwerpunkt diesmal mehr auf dem Kulinarischen als der Kultur lag und wir durch andere barrios (Viertel) liefen. Insgesamt haben uns insbesondere die barrios Bellas Artes, Lastarria und Italia mit ihren überraschend netten Sträßchen und Cafés positiv überrascht, da Santiago nicht besonders viel Vorschuss-Lorbeeren bekommt – auch nicht von Chilenen …
Durch das Corona-Virus ist die Erinnerung schon ziemlich verblasst, aber im Herbst letzten Jahres wirkte es in den europäischen Medien als würde sich ganz Santiago im Bürgerkrieg befinden. Im gesamten Zentrum der Stadt sah man noch in unterschiedlichem Ausmaß Zeichen der Proteste, die zum Zeitpunkt unseres Besuchs allerdings in deutlich vermindertem Maße stattfanden.

Die Metro-Stationen, die zu Beginn der Unruhen im Oktober 2019 zum Großteil zerstört, bzw. in Brand gesetzt worden waren, waren bis auf die Station im Epizentrum der Prostete, den Plaza Italia, wieder im normalen Betrieb. Neben bereit stehenden Elementen für Straßensperren und Spuren der Zerstörung an einigen Gebäuden waren Graffities an jeder Wand allerdings das Auffälligste, die Proteste fanden Ende Januar zum Großteil wohl montags und freitags statt.
