Lockdown

Anscheinend hatte es in der Nacht nach unserem Sternegucken aufgeklart, denn beim Aufstehen am Morgen hatte sich Eis an der Innenseite unserer Scheiben gebildet. Profitipp: Wenn man Wollsocken, lange Unterhose, Merino-Langarmshirt, Fleecejacke, Buff und Mütze beim Schlafen trägt, fühlt es sich gar nicht so schlimm an …

Die Fahrt am 24.3. Richtung Christchurch war etwas gespenstisch, denn trotz der tollen Landschaft und des wieder guten Wetters schienen alle Menschen auf der – zugegebenermaßen entspannten – Flucht zu sein. Wir hatten am Anfang gewitzelt, dass es in Neuseeland nicht nur mehr Schafe, sondern auch mehr Deutsche als Neuseeländer gibt und die waren gefühlt alle in Campervans auf dem Weg nach Christchurch.

Haupstraße in Geraldine

Unsere Vermieter, mit denen wir zuletzt vor einigen Tagen Kontakt gehabt hatten, waren telefonisch nicht erreichbar, aber sie hatten uns für den Fall des Falles schon informiert, dass wir auf ihrem Firmengrundstück ein Stück außerhalb von Christchurch bleiben könnten. Allerdings hätte es nur eine Toilette und keine Dusche gegeben, dementsprechend waren wir sowieso nicht sicher, ob das eine sinnvolle Option gewesen wäre. Helena hatte an dem Nachmittag in dem Luxushotel in Mount Cook Village noch mehrere AirBnbs angeschrieben, aber die waren mittlerweile entweder offline oder hatten abgesagt.

Zentrum von Geraldine

Dementsprechend froh waren wir über die Option, die anfänglich als Provisorium gedacht war und die es bis jetzt geblieben ist. Unser Bewegungsradius war, wie bei allen anderen auch, plötzlich minimal, aber wir hatten es gut getroffen: Wir kannten zwar nach einer guten Woche jeden Wanderweg und jede Straße in und um Geraldine, aber wenn man ohnehin nicht von den Vorteilen einer Stadt profitieren kann, hat so ein Dorf doch seinen Charme. Die Kiwis, die an unserem neuen zuhause vorbeiliefen, waren fast alle neugierig, woher wir kamen, warum wir trotz lockdown noch da waren und manche fragten, ob Alistair (der Pfarrer) auch wüsste, dass wir in der Kirche wohnen … Wir hatten ein paar unschöne Geschichten von den Erfahrungen ausländischer Touristen in Auckland gelesen, davon war hier keine Spur. Alle Menschen, mit denen wir Kontakt hatten, waren wirklich nett und schienen eher positiv davon angetan, dass wir uns für ihr Nest entschieden hatten.

Ein ganzes Stück im lockdown drin wurden wir von Alistair gefragt, ob wir ein paar Fragen für das örtliche Käseblatt beantworten würden (wer den Artikel lesen möchte, kann das hier tun – spoiler alert: ist nicht so spannend). Nachdem die Zeitung erschienen war, bekamen wir von einer Frau Kuchen vorbeigebracht, weil wir ihr so leid taten …

Da wir den Van nicht zurückgeben konnten, wurde er unser Schlafzimmer für die nächsten fünf Wochen. Das restliche Leben verlagerte sich in einen Gemeinderaum neben der eigentlichen Kirche, beziehungsweise, dank des zum Großteil wunderschönen Wetters nach draußen.

Die Frage, was wir den ganzen Tag machen und vor allem, ob oder warum wir nicht verrückt würden, haben wir in den letzten Wochen häufig gehört. Teil zwei: Keine Ahnung, aber nein. Teil eins: Primär nicht viel. Wir haben immer mehr oder weniger ausgeschlafen, waren Spazieren und haben ansonsten neben Podcasts hören, lesen, Computerspielen (Gott sei Dank haben wir den Laptop dabei) fast jeden Tag mehrere Runden „Siedler von Catan“ mit Tom (19 Jahre), dem anderen gestrandeten Deutschen, gespielt. Dank Netflix wurde uns auch abends nicht langweilig, nervig war nur die Internetverbindung. Die war leider von wechselnder Qualität, so dass ich die Filme oder Serien teilweise im öffentlichen WiFi auf der anderen Straßenseite herunterladen musste.

Nebenbei haben wir viel gekocht und Kuchen gebacken. Nach zwei Papp-Broten aus dem Supermarkt wurde das Backen – über einen kurzen Umweg über Hefeteig – schnell auf Sauerteigbrote ausgeweitet. Noch nicht wie bei Moss, aber angesichts der Umstände ziemlich zufriedenstellend. Circa einmal die Woche gab es Abendessen mit der Familie des Pfarrers, bei dem wir in der Regel den Nachtisch beisteuerten – mousse au chocolat war der klare Favorit.

Anschließend gab es entweder einen Film (meistens verkündete Alistairs Frau, Catherine „You HAVE to watch this movie!„) oder Secret Hitler. Das ist ein Spiel wie Mafia oder Werwolf, nur eben im setting der Weimarer Republik. Man braucht mindestens sieben Mitspieler, damit es wirklich Spaß macht, aber dann ist es extrem witzig. Das lag sicherlich auch mit daran, dass Alistair in jeder Rolle extrem aufgehen kann (ein Pfarrer, der lautstark die Hinrichtung eines Mitspielers fordert, ist eine Erfahrung für’s Leben 😉 ). Falls jemand Lust bekommen hat: Die benötigten Karten für das Spiel kann man kaufen oder selbst ausdrucken.

Tom. Alistair, Grace, Maddie, Catherine, Tobi

Neben den beiden Eltern wohnten noch Grace (18 Jahre), James (20 Jahre) und die Pflegetochter Maddie (im lockdown 18 geworden) mit im Haus. Von allen drei haben wir meist wenig gesehen, zum einen mangels Interesse an uns und zum anderen, weil ihr Tag häufig erst gegen 15 Uhr anfing. Den Alltag, soweit wir ihn mitbekommen haben, würde ich mal vorsichtig als verrückt beschreiben. Es ist nahezu immer laut, weil alle durcheinander reden, die Küche sieht grundsätzlich aus wie Dresden ’45 und temperaturtechnisch haben wir uns im Laufe der Abende meist von knapp 30 ° C bis hinunter auf 15 ° bewegt. Savannah, die Katze, hat zwar eine Klappe, aber weil durch diese eine andere Katze versucht, in das Haus zu kommen, ist die Klappe verschlossen und man muss alle halbe Stunde der miauenden Savannah die Terassentür öffnen. Am Ostersonntag haben wir mit Catherine Schoko-Eier für den Rest der Familie (und Tom) versteckt, primär, „to get the kids out of bed at all„. Und aus irgendeinem Grund endet ein signifikanter Anteil der Gespräche bei den Panzertypen und -kriegsstrategien des 2. Weltkriegs.

So merkwürdig das alles klingt, so nett war unsere Zeit hier. Wir hatten selbst nach dem ersten Kontakt mit Alistair nicht erwartet, dass wir so herzlich integriert würden. Wir wurden von Anfang an behandelt als wären wir schon immer hier gewesen.

Zum Ende der ursprünglichen Mietdauer (1.5.) brachten wir den Van dann zurück nach Christchurch und entschieden uns, für die restliche Zeit des lockdowns das Angebot der Familie, in eins der alten Kinderzimmer zu ziehen, anzunehmen. Ein richtiges Bett nach sechs Wochen Campervan war eine himmlische Erfahrung.

LEDs ander Kirche - leider geil

Am 11.5. kündigte die Regierung an, dass der am 29.4. bereits gelockerte lockdown heute, am 14.5., weiter reduziert wird, so dass wir nun wieder durch’s Land reisen können. Die Vermieter unseres Campervans haben uns netterweise angeboten, dass wir einen der in Auckland steckengebliebenen Vans umsonst nach Christchurch „rücküberführen“ können. Daher fliegen wir nächsten Dienstag auf die Nordinsel, um uns dann zunächst wieder im Campervan langsam Richtung Süden zu bewegen. Was danach kommt, wissen wir selbst noch nicht sicher, höchstwahrscheinlich bleiben wir Neuseeland aber noch eine Weile erhalten …

3 Kommentare zu „Lockdown

  1. Wieder ein sehr herziger Bericht. Ich danke euch dafür.
    Wünsche euch noch schöne Zeit bei den Kiwis

  2. Daumen hoch, gestrandet in Geraldine lustig. Dort kenne ich auch nur die Cafés bei der Highway Kreuzung … für ein Zwischenstopp. Eure Erfahrungen bestätigen wieder einmal, das sich längeres Stopps meist weg von den Touristischen Zentren in der Pampa lohnen. Genies st die verrückte Zeit weiter

    lg
    Seth

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